Bericht: 3. Verhandlungstag der Hauptverhandlung gegen Daniel Knorreck (20.2.2017)

Am dritten und letzten Verhandlungstag der Hauptverhandlung gegen Daniel Knorreck aus Weil am Rhein kam es zu einem Beweisantrag seitens der Verteidigung, es wurde ein weiterer Zeuge gehört und nach den Schlussplädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung das Urteil verkündet. Spannend waren insbesondere die politische Einordnung durch Rechtsanwalt Stump (sein Mandant sei unverschuldet in Auseinandersetzungen zwischen dem “linken” und dem “rechten” Lager hineingeraten) sowie die Tatsache, dass ein politischer Tathintergrund durch den Richter in der Urteilsverkündung als irrelevant gewertet wurde.

Der Angeklagte soll im Zeitraum zwischen November 2015 und November unter anderem wiederholt die Türschlösser bzw. Scheibenwischer eines Autos festgeklebt, es mit Tomatensoße übergossen haben, die dazugehörige Autoantenne abgebrochen und entwendet haben sowie einen Briefkasten zugemüllt und rohes Fleisch darin abgelegt haben. Betroffen: eine Familie, die diese Handlungen als ganz klar rassistisch motiviert beurteilt.

Beweisantrag der Verteidigung: Angeklagter “nicht fremdenfeindlich”

Zunächst stellte die Verteidigung unmittelbar nach der Eröffnung der Verhandlung einen Beweisantrag auf die Feststellung des Tathintergrundes. Sein Mandant, so RA Stump, sei “keineswegs kinderfeindlich, auch nicht gegen Ausländerkinder”, sei außerdem weiterhin “keineswegs ausländerfeindlich” und jahrelang im DRK aktiv gewesen. Er sei ordnungsliebend und räume herumliegende Dinge weg. Weiterhin seien – und das beweise, dass der Angeklagte nicht “fremdenfeindlich” sei – “Farbige bei ihm ein und aus” gegangen. Anfeindungen seien vielmehr von der Betroffenen ausgegangen: so sei sein Mandant durch sie im zeitlichen Zusammenhang mit einer Demonstration, bei der er gar nicht gewesen sein soll, als “PEGIDA-Anhänger” diffamiert worden. Der Beweisantrag wurde als unerheblich abgelehnt, da die zu beweisenden Hintergründe vom Gericht “als wahr angenommen” wurden.

Befragung des behandelnden Arztes: PTBS

Dann wurde der Arzt, der die Betroffene bei ihrem Aufenthalt in der Reha-Klinik Anfang 2017 behandelt hatte, als Zeuge angehört. Seiner Einschätzung nach leide die Betroffene an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die “erst seit den Ereignissen” vorliege. Auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft beschrieb er (allgemein) die Symptome der PTBS (Stimmungsschwankungen, erhöhte Wachsamkeit, Alpträume, Schlafstörungen, Symptome der Empfindungsorgane), sowie das Zustandekommen und die individuell unterschiedliche Anfälligkeit von Menschen für PTBS. Anschließend beschrieb er die Symptome, die er bei der Betroffenen feststellen musste und weshalb er diese als durchaus gravierend bewertete. Auffällig sei für ihn außerdem gewesen, dass sich die Anspannung der Betroffenen nach dem Verhandlungstag, der in die Zeit der stationären Behandlung fiel, signifikant erhöht hatte. Hieraus schlussfolgerte der Zeuge, dass die PTBS durchaus auf die Nachstellungen durch den Angeklagten zurückzuführen seien. Nachfragen der Verteidigung bezogen sich auf die zeitliche Einordnung der Taten, auf die die Betroffene sich dem Arzt gegenüber bezog sowie die Anzahl der von ihr benannten Täter und deren Zuordnung zur “rechten Szene” (dem Zeugen zufolge “unklar”).

Nach der Anhörung des Zeugen wurde die Urteilsbegründung aus dem Gewaltschutzverfahren im Februar 2016 verlesen. Damals wurde gegen den Angeklagten ein halbjähriges Annäherungsverbot verhängt. Die Akte legt einen rassistischen Tathintergrund nahe: so soll Knorreck der Betroffenen gegenüber “verbal ausfällig” geworden sein und sie u.a. als “N.-Schlampe” beschimpft haben.

Schlussplädoyer der Staatsanwaltschaft: “Anklagevorwurf vollumfänglich bestätigt”

Die Staatsanwältin sah den Anklagevorwurf vollumfänglich bestätigt. Das Bestreiten der Taten durch den Angeklagten sei für sie nicht glaubwürdig, er habe bei der Polizei und vor Gericht widersprüchliche Aussagen gemacht. Die Videoaufnahme zeige eindeutig ihn, dass weitere Täter im selben Zeitraum vergleichbare Taten am selben Auto (nicht aber an anderen Autos in der selben Tiefgarage) begangen haben könnten, sei ausgeschlossen. Auch die Angabe des Angeklagten, dass er den Namen der Betroffenen wegen einer angeblichen Beschwerde über seinen Hund auf einen Zettel notiert haben soll, sei unglaubwürdig. Glaubhaft waren in den Augen der Staatsanwaltschaft hingegen die gesundheitlichen Auswirkungen und deren Zusammenhang zu den hier verhandelten Vorwürfen sowie die weiteren Angaben der Zeugin. Es sei nicht erkennbar gewesen, dass es ihr darum ging, den Angeklagten zu belasten. Vielmehr sei der “fremdenfeindliche” Hintergrund der Taten eindeutig. Für die Sachbeschädigung in sechs Fällen sowie Diebstahl in einem Fall forderte sie 90 Tagessätze à 40 Euro.

Verteidigung: “unverschuldet zwischen rechtes und linkes Lager geraten”

Die Verteidigung hingegen sah lediglich in zwei der verhandelten Fälle die Täterschaft Knorrecks erwiesen: beim Sekundenkleber am Scheibenwischer (Videoaufnahme) sowie der Antenne (“da hat er idiotisch und falsch reagiert als, die Polizei zur Durchsuchung kam”). Alle weiteren Fälle mögen tatsächlich passiert sein, seien seinem Mandanten jedoch nicht eindeutig zuzuordnen. Vielmehr seien die Angaben der Betroffenen ein Rundumschlag, bei dem sie “alles Herrn Knorreck in die Schuhe schieben” wolle. Manche Erklärungen des Angeklagten erschienen zwar unglaubwürdig, aber, so RA Stump, “wir haben es hier mit einem einfach strukturierten Menschen zu tun”, und er persönlich schenke seinem Mandanten Glauben. Dieser werde von der Betroffenen nur als Täter gesehen, weil die ihn als “rechtslastig” einschätze – bereits bei der Polizeivernehmung habe sie gesagt, er “möge keine Ausländer und hat einen Schäferhund”. Da die Urheberschaft Knorrecks nur in zwei Fällen zweifelsfrei nachweisbar sei, könne auch vom Tatbestand der Nachstellung nicht die Rede sein, da die hierzu erforderliche “Beharrlichkeit” offensichtlich nicht gegeben sei.

Die Betroffene habe beobachtet, wie sich der Angeklagte negativ über Türken geäußert habe. Aber, so RA Stump: “WER hat sich noch nicht irgendwann in seinem Leben negativ über einen oder mehrere Ausländer geäußert”, da könne man ja “halb Deutschland nehmen”. Weiterhin werde seinem Mandanten unterstellt, er habe die Kinder der Betroffenen angestarrt – RA Stump blieb bei vielsagenden Andeutungen, ein solcher Vorwurf sei “hart, besonders für denjenigen, den er trifft”.

Sein Mandant gehöre “keiner rechtsradikalen Partei oder Gruppe” an und gehe nicht auf Demonstrationen. Die Anklage, er sei “rechtsradikal”, wäre damit bei den Haaren herbeigezogen. Vielmehr wäre er “unverschuldet zwischen zwei Lager geraten, die sich wechselseitig bekämpfen”. Die Betroffene hingegen gehöre dem “linken Lager” an. Hierdurch habe sie sich, so RA Stump, “zwingend zur Zielscheibe” rechter Angriffe gemacht. Er zog nicht in Zweifel dass die Betroffene “Opfer bestimmter Anschläge geworden ist” – es sei aber nicht auszuschließen sondern im Gegenteil durchaus denkbar, dass es “andere aus der rechten Szene” waren.

Den Zusammenhang der psychischen Belastung der Betroffenen mit den hier verhandelten Vorwürfen sah er durch den späten Zeitpunkt, zu dem sie sich erst ärztliche Unterstützung nahm, nicht gegeben – er ignorierte mit dieser Beurteilung die Aussage des Arztes, dass genau diese Schwierigkeiten, sich in Behandlung zu begeben, Teil der Symptomatik einer PTBS sind.

Es blieben also der Diebstahl bzw. die Unterschlagung der Antenne sowie eine Sachbeschädigung am PKW der Betroffenen. Für die Berechnung des Strafmaßes solle aber in Betracht gezogen werden, was der Angeklagte bereits alles durchmachen musste: so wurde ihm fristlos die Wohnung gekündigt, er soll zum “Ziel diffamierender Pressemitteilungen” geworden sein, und Freunde und Verwandte hätten sich von ihm abgewandt. Niemand wolle mehr etwas mit ihm zu tun haben, Menschen, die sich zu Zeug_innen-Aussagen bereit erklärt hatten, seien aus Angst abgesprungen.

Urteil: polit. Motivation weder feststellbar noch relevant

Das Urteil belief sich schließlich, auch weil der Angeklagte keine Vorstrafen vorzuweisen hatte, auf lediglich 20 Tagessätze à 40 Euro sowie die Übernahme der Verfahrenskosten. Es gehe, so der Richter, nicht um die Gesinnung. Die Schuld an einigen, nicht aber allen Taten sei erwiesen, es habe Vorfälle mit anderen Personen gegeben, aber ein Zusammenhang des Angeklagten mit diesen Tätern sei nicht feststellbar. Von einer Nachstellung könne angesichts dessen nicht gesprochen werden, auch sei die Kausalität für die posttraumatische Belastungsstörung der Betroffenen nicht eindeutig belegbar, es sei im Zeitraum, bis sie schließlich den Arzt aufsuchte, auch noch zu anderen Vorfällen gekommen. Zur Tatmotivation schließlich lasse sich nichts sagen, eine möglich politische Motivation ließe sich nicht aufklären, sei allerdings auch gar nicht relevant.

Bericht des SWR über Ausgang und Kontext des Verfahrens:

http://www.swr.de/swraktuell/bw/suedbaden/amtsgericht-loerrach-geldstrafe-im-prozess-um-nachbarschaftsstreit/-/id=1552/did=19051538/nid=1552/1ernudi/index.html

Unsere Bewertung

  • Sehr problematisch war unseres Erachtens der Umgang des Gerichts mit dem rassistischen Tathintergrund. Da wäre zum einen die Normalisierung rassistischer Einstellungen (und zwar sowohl der seines Mandanten als auch gesamtgesellschaftlicher) durch RA Stump. Dass ausgrenzende und abwertende Einstellungen von “halb Deutschland” geteilt werden, macht sie nicht zu etwas Harmlosem – ganz im Gegenteil. Was sich besonders drastisch im NSU-Komplex, aber auch tagtäglich in Ermittlungen und Verfahren im Kontext rassistischerGewalt zeigte und zeigt, war auch in dieser Verhandlung zu beobachten: der Einordnung und Beurteilung der Taten durch die Betroffenen wird nicht nachgegangen, kein Gewicht gegeben. Die politische Tatmotivation sei dem Urteilsspruch zufolge weder aufklärbar noch relevant – wir konnten aber gar keine Bemühungen wahrnehmen, durch entsprechende Nachfragen etwas über die Tatmotivation herauszufinden.Es fehlt ganz offensichtlich ein tiefergehendes Verständnis von der Wirkweise gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und extrem rechter Ideologie sowie eine tatsächlich juristische Handhabe, Hassverbrechen als solche zu benennen und zu behandeln und mit einem höheren Strafmaß zu belegen (wie dies etwa in den USA der Fall ist).
  • Bedenklich finden wir weiterhin die Aussage der Verteidigung, die Betroffene habe sich durch ihre angebliche Zugehörigkeit zum “linken Lager” zwingend zur Zielscheibe rechter Gewalt gemacht. Nicht nur handelt es sich bei dieser Argumentation um eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Auch findet hier wiederum eine Normalisierung rechter Gewalt statt, diesmal von Bedrohung und Gewalt gegen politische Gegner_innen. Es ist Teil extrem rechter Ideologie und Strategie, dass Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung der eigenen politischen Ziele gilt. Chroniken von Opferberatungen sprechen hierzu eine eindeutige Sprache. Den Betroffenen die Schuld für ihre Gewalterfahrung selbst zuzuschieben bedeutet in letzter Konsequenz die Aufgabe einer (meinungs-)pluralen Gesellschaft gegenüber einer zutiefst chauvinistischen Ordnung.
  • Drittens wurde der Angeklagte als “unverschuldet in einen Konflikt zwischen rechtem und linkem Lager geraten” dargestellt. Plötzlich geht es nicht mehr um die Verantwortung eines Mannes für eine ganze Reihe von Straftaten, sondern er wird selbst zum Opfer stilisiert, das ohnmächtig und ausgeliefert (und ganz gewiss kein Akteur) ist. Anstatt seine Verantwortung sowie das Wirken von Rassismus und gegebenenfalls spezifisch rechter Gewalt gegen nicht-Rechte herauszuarbeiten, wurde eine von den tatsächlichen Phänomenen vollständig abstrahierende inhaltsleere rechts-links-Diskussion geführt. Dass dies den Blick auf die Abwertung von Menschen und Gewalt gegen sie verstellt, ist und bleibt fatal. Denn hier geht es nicht um das “wechselseitige Bekämpfen von rechtem und linkem Lager”, sondern um Menschenverachtung, die zu Gewalt wird.
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